Kaum habe ich den Ort verlassen und komme in das erste Waldstück sitzt ein Wanderer am Wegesrand.
"He, bist du auch ein Pilger?" ruft mich der Unbekannte an. Bin mir nicht sicher was ich darauf antworten soll, ich - ein Pilger? Ich will mich da nicht festlegen und so sage ich: "Ich gehe den Jakobsweg." "Ich auch, warte ich gehe mit dir mit" sagt er und fängt an seine Ausrüstung zusammen zu packen. Er heißt Mario, zumindest stellt er sich so vor. Besonderes Kennzeichen von Mario ist sein Vorderzahn. Das liegt daran, dass Mario offensichtlich nur mehr den einen Zahn hat, aber er trägt ihn mit Stolz. Zum Beweis seiner Pilgerschaft zeigt er mir sein Heft mit den Stempel aus den diversen Kirchen. Mario ist auch in Wien losmarschiert. Bei näherer Betrachtung ist seine Ausrüstung etwas - hmm - disharmonisch oder anders gesagt, zusammen gesammelt. Tatsächlich hat er einiges geschenkt bekommen, wie er meint, erst gestern ein paar neu aussehende Wanderstiefel. Während ich mich frage, was aus dem vorigen Besitzer dieser Wanderstiefel geworden ist, hat Mario sein Zeug gepackt und wir marschieren los in Richtung Santiago d.C. Merkwürdige Gedanken kommen mir in den Sinn: Ist diese Begegnung hier Zufall oder soll ich darin eine göttliche Prüfung sehen? Mario und ich unterhalten sich über Gott und die Welt und er meint, mein Rucksack sehe so leicht aus und ich hätte sicherlich weniger zu tragen als er. Er sieht auch keinen Schlafsack bei mir, wo ich denn schlafe, er schläft nämlich immer im Freien. Als ich sage, ich suche mir immer eine Unterkunft, bin ich bei ihm schon unten durch, denn das ist nicht "richtiges Pilgern". Mario erzählt mir, er sei schon über drei Jahre unterwegs. Drei Jahre?!? Er erklärt mir die Unterschiede der Völker, warum die Franzosen so nett sind und seine Landsleute aus Deutschland mies sind. Die Österreicher dürften irgendwie so dazwischen liegen. Meine Gedanken werden immer skuriller und ich führe das auf eine akute Unterhopfung zurück, daher kehre ich in das nächstbeste Wirtshaus am Wegesrand ein. Ich setze mich im Gastgarten an einen freien Tisch und bestelle mir ein Bier. Nanu, wo ist Mario geblieben? Er sitzt vor dem Lokal auf der Treppe und isst undefinierbare Dinge aus seinem Rucksack. Der Wirt der mir das Bier bringt, sieht uns beide abwechselnd mit abschätzenden Blicken an. Was soll ich sagen? Ich kenne ihn auch nicht? Oder soll ich sagen das ist mein Kumpel, mein Wanderbruder? Vermutlich überlegt der Wirt, ob ich in der Lage bin, das Bier zu bezahlen, Mario ist es ganz offensichtlich nicht. |
In Wörgl stehe ich bei einer Kreuzung. Mein Navi sagt links, der Jakobswegweiser sagt rechts. Ich habe die Route für das Navi von einer Jakobsweghomepage für Tirol herunter geladen, sie war zwar nicht besonders genau, aber bisher war alles richtig. Also gehe ich links, wie mein Navi meint, da komme ich auch an einer Eisenbahnwerkstätte vorbei.
Das hätte ich besser nicht getan. Nach zirka einen Kilometer komme ich zu einer Unterführung, die unter die Autobahn führen sollte. Leider große Baustelle, alles gesperrt auch für Fußgänger. Also wieder alles zurück, wieder an der Werkstätte vorbei und bei der Kreuzung diesmal dem Wegweiser folgen. |
Mit fehlende Wegabschnitte meine ich kein Navigationsproblem oder Gedächtnisverlust - nein, das sind Abschnitte in denen plötzlich der Weg fehlt.
In der Gegend des Paisslbergs war es besonders mies. Nichtsahnend wandere ich auf dem bisher gut ausgeschilderten Weg und werde von einer großen Tafel gewarnt: Achtung! Weg gesperrt! Sonst steht nichts weiter, warum oder wo und welcher andere Weg, nichts. Tatsächlich ist auch kein Weg mehr zu sehen, alles ist verwachsen und überwuchert. Kann ja für mich kein Problem sein, es darf auch keines sein, denn ich MUSS hier weiter nach Westen. Rechts geht der Berg rauf, links ist der Inn und keine Brücke weit und breit. Also gehe ich eine Forststraße weiter, die bei einem Bauernhof endet, aus, Ende, nichts mehr außer Wald, Dickicht und kein Weg. Wieder ein Stück zurück und runter zum Inn, hurra ich habe den Weg wieder gefunden. Zu früh gefreut, nach einigen hundert Metern, fehlt wieder der Weg. Nicht nur der Weg, der ganze Hang ist in den Inn gerutscht, keine Chance zum weitergehen oder ich lande auch im Inn. |
Wieder zurück gehen, da war doch irgendwo eine Abzweigung den Hang hinauf? Mein Navi hat bereits aufgegeben, hier gibt es angeblich keine anderen Wege. Irgendwann bin ich dieses fehlende Wegstück großräumig umgangen und komme wieder zurück ins Tal nach Voldöpp und Kramsach.
Langsam wird es Zeit eine Unterkunft zu finden, ich bin schon etwas müde. So durchquere ich das wunderschöne Rattenberg und gehe weiter nach Brixlegg. Ein Fehler wie sich bald herausstellt, denn das einzige was in Brixlegg offen hat ist die Billafiliale. Kein Torurismusbüro, geschlossene Gasthöfe und unauffindbare Pensionen, zum Verzweifeln. Außerdem ist Brixlegg häßlich. |
Nach Brixlegg komme ich zum Schlosspark Matzen, eine gepflegte öffentlich zugängliche Parkanlage, an derem anderen Ende man zum Schloss Matzen kommt.
Gleich dahinter, nur getrennt durch einen Teich und eine noch schönere und gepflegtere Parkanlage befindet sich das nächste Schloss - Lipperheide. Dann ein paar Schritte weiter auf einen Hang hinauf und schon hat man einen tollen Ausblick auf das nächste Schloss: Lichtwerth, natürlich Privatbesitz. Mein augenblicklicher Privatbesitz beschränkt sich gerade auf alles was ich auf meinem Rücken tragen kann und vielleicht bin ich deshalb auch glücklicher, wer weiß. |